
Wenn ich mit meinem neuen Schluss meine Lesung aus „Deckname Antenne“ beende, ist es erst mal völlig still im Raum, auch wenn da über 150 Schülerinnen und Schüler sitzen, wie an der Realschule im oberbayerischen Oberding, im Blick das Foto von einem ukrainischen Soldaten, der im Krieg ein Bein verloren hat.
Bisher endete meine Lesung so:
„Meine junge Journalistenkollegin Sarah Beham schreibt mir: „Ich frage mich als junger Mensch: Hat man denn gar nichts aus der Geschichte gelernt? Muss sich alles wiederholen – jeder Fehler, jeder Krieg? Es macht mich unfassbar traurig! Ich hatte das große Glück ohne Krieg leben zu dürfen. Und ich hätte mir niemals vorstellen können, in so eine Situation zu kommen.“
80 Lesungen habe ich mit diesem Zitat von Sarah Beham am Schluss meines Buches beendet. Sie war meine Unterstützerin aus der jungen Generation beim Schreiben.
Dann schrieb ich das Schlusskapitel weiter:
„Sarah Beham ist inzwischen nicht mehr im BR Studio Deggendorf, sondern als Hauptstadtkorrespondentin für den Bayerischen Rundfunk und die ARD in Berlin. Sie ist Jahrgang 1994 und war im Mai 2024 mit Entwicklungshilfeministerin Schulze in der Ukraine.“
Erschüttert berichtete sie in einem Video (aus dem das Foto stammt):
„Wir waren in Lviv, und das war schon sehr hart mit anzusehen. In Lviv gibt es das größte Rehazentrum und da kommen die meisten Kriegsverletzten von der Front hin. Eine ganze Generation Männer zu sehen verstümmelt, mit amputierten Armen oder Beinen, das macht was mit Einem, das war hart anzuschauen und auch als Journalistin bin ich nur ein Mensch. Mikrofon und Handy, ich filme, und dann schießen einem die Tränen in die Augen, weil man auch nur Mensch ist.“
Ich schreibe Sarah tief bewegt:
„Die Auswirkungen eines furchtbaren Krieges, die du da in Lviv gesehen hast, das hätte uns vor 35 Jahren auch drohen können. Dann wären vielleicht dein Papa und ich, und viele andere aus unserer Generation in einen 3. Weltkrieg gezogen. Ja, liebe Sarah, ich habe Demut und Dankbarkeit.“
Danach ist es ganz ruhig in der Turnhalle.
In Oberding war ich zum deutschen Vorlesetag an der Realschule auf Einladung der Geschichtslehrerin Natalie Beham-Mößmer, der Schwester von Sarah.
Natalie schrieb über diese Lesung im Erdinger Merkur, und ich bin ihr für diese Zeilen sehr dankbar, weil sie genau meine Intentionen bei Lesungen vor jungen Leuten treffen:
„Der Journalist Eberhard Schellenberger beließ es nicht dabei, Ereignisse aus vergangenen Tagen anschaulich und unterhaltsam zu präsentieren. Geschichte sei dazu da, auch aus ihr zu lernen. Und so appellierte er am Ende eindringlich an die nächste Generation, den Frieden, den die Großväter und Väter geschaffen haben, zu erhalten. In einer Zeit, in der die Zahl der Diktaturen wachse, sich immer mehr Menschen radikalisierten, und die Demokratie ins Straucheln zu geraten scheine, sei es unerlässlich, für die demokratischen Grundrechte einzustehen. So wurde aus der Autorenlesung nicht nur eine besondere Geschichtsstunde, sondern auch ein flammender Appell für Demokratie und Frieden in Europa, der die aufmerksamen Schüler zu erreichen schien.“